Jacques Louis David - La Mort de Marat
rätselhafter Aufenthalt eines Revolutionärs in der Badewanne
Jean-Paul Marat war zur Zeit der Französischen Revolution ein politisch hochaktiver Wissenschafter
(Physiker, Arzt) und Publizist, der sich als Stimme des revolutionären Volkes und Sprachrohr der
Sansculottes verstand. Er galt als zumindest verbal blutrünstiger Gewalttäter der für die
Septembermassaker von 1792 (Stürmung der Gefängnisse und Ermordung von über 1200
inhaftierten Gegnern der Revolution und anderen Häftlingen, die dafür gehalten wurden)
verantwortlich gemacht wurde. Er verlangte etwa den Tod des Königs und einen Haftbefehl für die
Mitglieder seiner Familie auf der Flucht. Gegner der Revolution bezeichnete er als Verräter, und die
gemäßigten Girondisten griff er scharf an. Nicht erstaunlich dass auch er Opfer der Gewalt wurde.
1793 erstach ihn die Girondistin Charlotte Corday (la "pucelle de Caen") mit einem Küchenmesser
in seiner Badewanne. Die Revolution begann ihre eigenen Kinder zu fressen.
Kurz nach dem Attentat wurde Jacques-Louis David, Marats befreundeter Maler und Abgeordneter
des Nationalkonvents, beauftagt, ihn in einem Gemälde zu verewigen. Das Resultat wurde zu der
beliebtesten Darstellungen eines Märtyrer der französ. Revolution. Der sterbende Marat liegt auf
blutigen Tüchern die eine Badewanne verdecken, und hält einen Brief in Händen, den seine
Mörderin an ihn verfasst hatte (den er aber in Wirklichkeit nie erhielt). Dieser endet mit den
Worten "II suffit que je sois bien malheureuse pour avoir Droit à votre bienveillance".
Jean-Paul Marat
Die Mörderin selbst ist auf dem Bild nicht zu sehen, nur die Stichwunde und das
Küchenmesser deuten auf ihre Anwesenheit hin. David selbst verewigte sich auf dem
Holzblock mit der Inschrift : À Marat David.
Das alles ist leicht nachvollziehbar, auch wenn die Darstellung des Citoyen Marat als
heroischer Martyr nicht geschichtskonform ist. Darüber hinaus birgt das Gemälde aber
einige tsel. Zuerst einmal: sitzt Marat tatsächlich in einer Badewanne? Falls dem so
ist, warum hielt er sich bei seiner Ermordung ausgerechnet darin auf, noch dazu
ausgestattet mit Papier und Schreibzeug? Die bis vor kurzen gängige Hypothese war: er
litt an einer tückischen Hautkrankheit mit schrecklichem Juckreiz, und suchte im
Wasser Linderung. Beweise dafür gab es aber nicht. Erst 2019 schafften
wissenschaftliche Analysen Gewissheit.
Das ging so: die Ermordung Marats hinterliess eine kleine Blutspur und zwar auf einer
Ausgabe seiner Zeitschrift "LAmi du Peuple". Nach Aussage seiner Schwester Albertine
wurde die Zeitung auf der Holzkiste vorgefunden, vom Maler aber offenbar durch den
dramaturgisch interessanteren blutigen Brief in der Hand Marats ersetzt. Das Exemplar
wurde von Albertine in Verwahrung genommen, und landete 1906 in der Bibliothèque
nationale de France. Und jetzt das Unglaubliche. Aus diesem Blutfleck konnten winzige
Spuren von Marats DNA isoliert und sequenziert werden. Das Resultat: Marat litt
höchstwahrscheinlich an seborrhoischer Dermatitis, die vom Pilz malassezia restricta
verursacht wird. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er in der Badewanne Linderung
suchte und dort mit Papier und Schreibzeug arbeitete. Fascicule “Ami du PeupleBnF
Dass man anhand eines über 200 Jahre alten eingetrockneten Blutflecks auf einer
Zeitschrift herausfinden kann, welche Krankheit Marat hatte - während er selbst als Arzt
zu Lebzeiten nicht genau wußte woran er litt, ist faszinierend. Ein weiteres Beispiel für den
Grenzverkehr zwischen Kunst und Wissenschaft.
Das Gemälde hat eine interessante Nachgeschichte: in der nachnapoleonischen
Restaurationszeit musste Jacques-Louis David das Gemälde mit Bleiweiß übertünchen, um
es vor Verfolgungen zu schützen. Er selbst flüchtete als politisch Vorbelasteter nach
Brüssel. Dort hängt sein Bild noch heute. Das kam so: nach dem Tod des Künstlers lehnte
die französische Regierung 1826 den Erwerb des Bildes ab, und auch 11 Jahre später
scheiterte der Versuch der Erben, das Bild dem französischen Nationalmuseum
anzubieten. 1893 vermachte es dann der Neffe Davids, vermutlich aus Dankbarkeit über
die freundliche Aufnahme seines Onkels in Brüssel, dem dortigen Königlichen Museum.
Heute beißen sich die französischen Behörden darob vermutlich die Nägel ab. Sie haben
allerdings Repliken aus dem Atelier Davids, wie jene im Louvre (G. Serangeli) mit anderer
Inschrift « N’ayant pu me corrompre, ils m’ont assassiné », diese sind aber von minderer
Qualität. Dass es auch Nachahmer gab, ist nicht verwunderlich. Edvard Munch etwa
erotisierte das Thema. Ganz abgesehen von modernen humoristischen
Verballhornungen.
Louvre
Munch - Tod von Marat I 1907