Francisco Goya? Der Koloss
Ein falscher Goya, waren die Leute alle blind?
Was die Mona Lisa für den Louvre ist, das ist "Der Koloß" für den Prado. Er
gilt als das Meisterwerk Goyas, der uns bekanntlich noch viele andere
Meisterwerke hinterlassen hat. Seitdem es im Bestand des Prado ist (1931)
zählt das Schmuckstück zu den von Kritikern am meisten kommentierten
Gemälden.
Es wird im allgemeinen als künstlerische Aufarbeitung der Bedrohung
Spaniens durch den angrenzenden Nachbarn Frankreich zu Beginn des 19.
Jahrhunderts interpretiert. Im speziellen soll der Koloss für Napoleon
stehen. Eine andere Interpretation geht davon aus, dass der Koloss den
nationalen Widerstandsgeist der Spanier gegen die französische
Unterdrückungsherrschaft repräsentiert. Seine drohende Gebärde richte
sich nicht gegen die aufgebrachte Menge, sondern sei auf einen Punkt in
der Ferne fokussiert. In der allgemeinen Panik bleibe nur der Esel ruhig. Im
übrigen besteche das Bild durch die sichere Pinselführung des Meisters und
die anatomische Präzision seiner Figuren...
Einig sind sich die Kritiker hingegen darin dass das Bild den Krieg mit seinen
verheerenden Folgen von Gewalt, Verwüstung, Schrecken, Flucht und
Vertreibung thematisiert.
Krieg
Das alles ist jetzt Vergangenheit. Vor kurzem (2008) entdeckte man in einer Ecke
des Bildes ein verstecktes Kürzel, das von den Experten als die Initialen "AJ"
identifiziert wurde. Oh Wunder. Es deutet nicht auf Francisco Goya hin, das
wurde selbst den Experten klar, sondern vielmehr auf Asensio Juliá, einen
Schüler Goyas, der - ebenfalls klar - in Goyas Werkstatt arbeitete. Das Bild ist also
nicht vom Meister selbst sondern von seinem Schüler. Das soll ja vorkommen.
Aber: das Bild war inzwischen 200 Jahre alt und der Laie frägt sich natürlich,
wieso diese Entdeckung in einem Bild, das schon Legionen von Experten sehr,
sehr genau untersucht haben, nicht schon längst gemacht worden ist. Jetzt orten
die Experten plötzlich „unsichere Pinselführung“, „anatomische Schwächen“ etc.,
und zu allem Überdruss veröffentlichte das Prado-Museum ein Gutachten: Das
Werk passe nicht zum Stil Goyas hieß es dort und: "Es gibt markante
Unterschiede zwischen dem "Koloss" und den Meisterwerken Goyas, deren
Urheberschaft dokumentiert ist. (...) Bei richtigem Licht betrachtet wird deutlich,
dass die dürftige Technik, das Licht und die Farbtöne nicht dem Niveau Goyas
entsprechen." Die Gutachter hoben ferner hervor, dass das Gemälde
perspektivische Fehler aufweise, die einem Perfektionisten wie Goya niemals
unterlaufen wären.
Das sind kühne Worte. Dem großen Meisterwerk Goyas, das zu den
bedeutendsten der Malerei gezählt wurde, wird nun auf einmal "dürftige
Technik" nachgewiesen, man findet jetzt plötzlich Fehler in der Perspektive, die
einem Perfektionisten wie Goya niemals unterlaufen wären. Waren die Leute
vorher alle blind?