Anne Adams war eine kanadische Biologin, die sich 46-jährig für Malerei entschied.
Fasziniert von Maurice Ravels repetitiver Musik schuf sie im Jahr 1996 eine detaillierte
visuelle Umsetzung seines Boléro. Ihr Unravelling Boleroist das originelle Resultat.
Um diese Zeit machten sich bei Anne Adams erste Symptome einer mysteriösen
Krankheit bemerkbar. Sie begann ihre Sprache zu verlieren. Ab 1997 wurde sie vom
Neurologen Bruce Miller untersucht, der im Jahre 2000 eine “primary progressive
aphasia” (PPA) diagnostizierte. Zehn Jahre später war seine Patientin tot. Anne Adams
Kreativität blieb jedoch zu Lebzeiten ungebrochen, wurde vielleicht sogar durch die
Krankheit verstärkt. Ihr Bild hängt angeblich im UCSF Büro von Bruce Miller in San
Francisco.
Um Anne AdamsWerk rankt sich die Legende, es sei unter dem Einfluss ihrer PPA
entstanden. Insbesondere wäre ihre Liebe zu repetitive patterns“ Zeichen ihrer
Krankheit gewesen. Diese Interpretation ist nicht überzeugend. Repetitionen sind
Stilmittel aller Künstler (Klee). Ausserdem verlor Adams ihre Sprache erst ab 2000,
also 4 Jahre nachdem sie ihren Unravelling Bolerobeendet hatte. Wahrscheinlicher
ist dass ihre versiegenden sprachlichen Fähigkeiten durch verstärkte visuelle
Fähigkeiten kompensiert wurden.
Anne Adams Unravelling Bolero
a bar-by-bar representation of Ravel's Bolero
Bewältigungsstrategie einer leidenden Künstlerin
Bruce Miller
UCSF
Unravelling Bolero (Ausschnitt)
Ein Studium von Anne Adams Gemälde lässt erahnen wie sie
Ravels Boléro graphisch umsetzte. Jedem Takt ordnete sie ein
gemaltes Segment zu. Die Höhe der Segmente entspricht der
Tonstärke (volume), die Form der Klangfarbe/Timbre (note
quality), und die Farbe der Tonhöhe (pitch). Von besondertem
Interesse ist der Wechsel der Tonart ab Takt 326. Die Farbe
(Tonhöhe) schlägt plötzlich auf orange und rosa um, das Ende
vorbereitend.
Man vermutet dass Maurice Ravel unter derselben Krankheit
litt wie Anne Adams, wovon letztere aber nichts wusste als sie
ihren Boléro malte. Ravels Krankheit wurde auch in Oliver
Sacks’ Musicophilia thematisiert. Der Neurologe unterstellt
dem Komponisten Dementia und fand in seinem Boléro “no
development” (“there is the reiterative pattern and nothing
else”). Strange.
Einen ähnlichen Drang zur Umsetzung von Musik in Malerei
findet man bei Paul Klee, der selbst auch Musiker war und
manchmal beim Malen den Takt klopfte, sowie bei Adolph
Wölfli der unter psychischen Störungen litt.
Maurice Ravel 1875-1937
Takte 312-340