Constantin Brancusi Princesse X
Liegt der Skandal wirklich im Auge des Betrachters?
Princesse Marie
Bonaparte
Seine 1915/16 entstandene Skulptur nannte Brancusi geheimnisvoll Princesse X,
wobei das X für Marie Bonaparte (1882-1962), französische Prinzessin von
Griechenland und Dänemark stand. Marie war Urenkelin des Bruders
von Napoléon Bonaparte, also Urgrossnichte des letzteren, und wäre heute eine
Tante von Prinz Philip, Herzog von Edinburgh. Wie man auf Maries
zeitgenössischem Foto sieht, ähnelt ihr die 62 cm hohe Bronze auf Kalk nur
bedingt. Sie hat für die meisten Betrachter eher die Form eines Phallus, was
angeblich nicht im Sinne des Erfinders war.
Tatsache ist jedenfalls dass die Skulptur wegen ihrer phallischen Form bei
Kunstausstellungen als "obszön" bezeichnet und abgelehnt wurde, und im Salon
des Indépendants sogar für einen Skandal sorgte. Unerwartet dabei war Brancusis
Empörung. Wenn man seinen Worten Glauben schenkt, habe seine Figur nichts
anderes dargestellt als eine aufs Äusserste reduzierte Frau, gewissermassen eine
Weiterführung seiner mittlerweile verschollenen "Femme se regardant dans un
miroir" für welche ihm Marie als Modell diente. Er wolle damit seine Abneigung
gegenüber dieser als eitel geltenden Frau ausdrücken, meinte er, und weibliches
Verlangen und Eitelkeit darstellen. Er sei weder auf Obszönität noch Provokation
aus gewesen. Was man sonst in dieser Skulptur sieht, liege allein im Auge des
Betrachters, fand der Künstler.
Das alles scheint nun doch ein wenig zu kurz gegriffen. Wie soll der Betrachter
denn erkennen dass es sich wirklich um Marie Bonaparte handelt, der
gegenüber sich der Künstler so abfällig ausdrückt, und nicht ein vulgärer Penis?
Ist für den Künstler die Realität abstrakt oder die Abstraktheit Realität? Man
kann es drehen und wenden wie man will, Princesse X mit ihren runden Brüsten
und ihrem kahlen Kopf erweckt eher den Eindruck eines männlichen
Geschlechtsteils. Dies sah auch Pablo Picasso so, und der musste es ja wissen.
Dazu kommt noch folgendes. Wie die Prinzessin selbst berichtete, litt sie unter
Frigidität und Penisangst, und all den daraus resultierenden psychologischen
Problemen. Sie konsultierte aus diesem Grunde Sigmund Freud, mit dessen
Lehre sie sich in der Folge so intensiv befasste, dass sie bald als dessen
Sprachrohr galt. In Sachen Psychosexualität widersprach sie ihm allerdings und
meinte, ihre Frigidität und Penisangst sei anatomisch bedingt. Dass sie mit
ihrem (angeblich) schwulen Gemahl Prinz Georg von Griechenland zwei Kinder
zeugte mag an ein Wunder grenzen. Es wäre überraschend wenn Brancusi nicht
auch darauf angespielt hätte.
Wie es so oft bei Querdenkern passiert, hatte Brancusi auch Schwierigkeiten
mit einer anderen Skulptur, dem "Bird in Space". Diesmal ging es um den
Kunstbegriff an sich. Bei der Einfuhr in die USA musste er dem Richter erklären
dass es sich dabei um abstrakte Kunst handle und nicht um ein gewöhnliches
Stück Metall, das er hätte verzollen müssen.
Realität versus Abstraktion, das ist Brutalität;-)
Femme se regardant
dans un miroir (1909
Bird in space