Das alles scheint nun doch ein wenig zu kurz gegriffen. Wie soll der Betrachter
denn erkennen dass es sich wirklich um Marie Bonaparte handelt, der
gegenüber sich der Künstler so abfällig ausdrückt, und nicht ein vulgärer Penis?
Ist für den Künstler die Realität abstrakt oder die Abstraktheit Realität? Man
kann es drehen und wenden wie man will, Princesse X mit ihren runden Brüsten
und ihrem kahlen Kopf erweckt eher den Eindruck eines männlichen
Geschlechtsteils. Dies sah auch Pablo Picasso so, und der musste es ja wissen.
Dazu kommt noch folgendes. Wie die Prinzessin selbst berichtete, litt sie unter
Frigidität und Penisangst, und all den daraus resultierenden psychologischen
Problemen. Sie konsultierte aus diesem Grunde Sigmund Freud, mit dessen
Lehre sie sich in der Folge so intensiv befasste, dass sie bald als dessen
Sprachrohr galt. In Sachen Psychosexualität widersprach sie ihm allerdings und
meinte, ihre Frigidität und Penisangst sei anatomisch bedingt. Dass sie mit
ihrem (angeblich) schwulen Gemahl Prinz Georg von Griechenland zwei Kinder
zeugte mag an ein Wunder grenzen. Es wäre überraschend wenn Brancusi nicht
auch darauf angespielt hätte.
Wie es so oft bei Querdenkern passiert, hatte Brancusi auch Schwierigkeiten
mit einer anderen Skulptur, dem "Bird in Space". Diesmal ging es um den
Kunstbegriff an sich. Bei der Einfuhr in die USA musste er dem Richter erklären
dass es sich dabei um abstrakte Kunst handle und nicht um ein gewöhnliches
Stück Metall, das er hätte verzollen müssen.
Realität versus Abstraktion, das ist Brutalität;-)
Femme se regardant
dans un miroir (1909
Bird in space