Giulio Parigi - Der Spiegel des Archimedes
und andere legendäre Wunderwaffen
Archimedes von Syrakus war ein friedliebender und wissensdurstiger Mensch. Kein
anderer würde in die Badewanne steigen, um das Prinzip des spezifischen Gewichts
zu studieren, aus dieser erleuchtet heraushüpfen, und mit dem Jubelruf "Heureka!"
nackt durch die Gassen der Stadt irren. So beschrieb es zumindest Plutarch.
Als seine Heimatstadt Syrakus jedoch in Bedrängnis geriet, packte den 73-jährigen
Griechen der göttliche Zorn, und er ersann in seiner Arglist furchteinflößende
Waffen gegen die anrückenden Römer. Deren Feldherr Marcus Claudius Marcellus
kam 214 v. Chr. mit vier Legionen in einem Rachefeldzug vor die Stadt und blockierte
mit dutzenden großen Galeeren den Hafen. Der Grund? Syrakus war im Zweiten
Punischen Krieg (218-201 v.Chr.) auf die Seite Karthagos (Hannibal) gewechselt, von
dem Cato bekanntlich erklärte: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. Einen
solchen Verrat konnten die Römer nicht auf sich sitzen lassen.
um 287212 v.Chr.
Archimedes
Urlaub 2012
Zwei der Wunderwaffen bestanden je aus Spiegeln ("Spiegel des
Archimedes") und Krallen ("Kralle des Archimedes"). Mit dem
Spiegel bündelten die Verteidiger das Sonnenlicht und lenkten es
auf die römischen Galeeren, um sie in Brand zu setzen. Näherten
sich diese trotzdem den Mauern der Stadt, schwenkten die
Verteidiger die Arme eines Krans aus. An diesem hingen an
langen Ketten spitze Haken ("Krallen"), die sie in den Bug der
Schiffe rammten. Saß einer dieser Haken fest, lösten die
Verteidiger ein gesichertes, schweres Gegengewicht auf der
anderen Seite des Krans und durch das Hebelprinzip wurden
selbst große Schiffe aus dem Wasser gehoben („Gebt mir einen
festen Punkt, und ich hebe die Welt aus den Angeln“). Dann
kappten die Verteidiger die Ketten, und die Galeere krachte
zurück ins Meer oft auch auf die tückischen Felsen vor den
Mauern. Oder sie kenterte. Vicieux. So lautet zumindest das
Histörchen. Die Legende beruht im Kern auf einer kurzen Stelle
bei Galen (130200) »De temperamentis«. Ihr Wahrheitsgehalt
ist umstritten.
Das Problem damit ist wieder einmal die Physik. Zweifel bestehen
insbesondere hinsichtlich der Frage ob man zu dieser Zeit mit Spiegeln
tatsächlich Schiffe in Brand stecken konnte. Heute kennen wir zwar
Parabolspiegel in Solaröfen die genau das können, aber die damaligen
Spiegelmaterialien (poliertes Kupfer), die nötigen Spiegeldimensionen
(mehrere Quadratmeter) und die Distanz zwischen den Verteidigern und
den Galeeren (>20 Meter) lassen doch Zweifel aufkommen.
Um diese zu zerstreuen, baute ein Professor einer amerikanischen Elite-
Uni kurzerhand die antike Wunderwaffe ("Todesstrahl des Archimedes")
nach. Mit seinen Studenten stellte er über 100 Spiegel so auf, dass in
ihrem Brennpunkt der Bug eines Schiffs stand, zuerst der eines Modells im
Trockenen und dann der eines wirklichen Schiffs im Wasser. Die
Gesamtspiegelfläche betrug 30 Quadratmeter.
Das Ergebnis war durchwachsen. Nach einer viertel Stunde qualmen und
rauchen schlugen aus dem Bug des Modells tatsächlich Flammen, mit dem
realen Schiff auf dem Wasser klappte es aber nicht. Warum, ist nicht
bekannt. Egal, es könnte ja sein dass damals in Syrakus nur die Segel
entzündet oder die feindlichen Soldaten geblendet wurden.
Spiegel
Mit der "Kralle" sind keine derartigen Versuche bekannt. Ihre prinzipielle
Funktionsweise steht zwar außer Zweifel, ihr praktischer Wert zur Verteidigung vor
angreifenden Galeeren aber weniger.
Wie auch immer, und ganz gleich, ob Archimedes mit Spiegeln Schiffe in Brand oder
mit Krallen in Bewegung gesetzt hat, allein das, was schriftlich von ihm überliefert ist,
macht ihn zum Inbegriff antiken Forschergeistes. Niemand, nicht einmal der etwas
ältere Mathematik-Patriarch Euklid, hat ein vergleichbares Feuerwerk brillanter
Beweise und Erfindungen hinterlassen.
Dass Archimedes, nachdem Syrakus durch ein Ablenkungsmanöver der Römer von
Land aus eingenommen wurde, in Tüfteleien versunken mit einem römischen
Soldaten aneinandergeriet, und von diesem kurzerhand erstochen wurde, rundet das
Bild des antiken Helden ab, und machte ihn definitiv zur Legende.
Die Szene seiner Ermordung wurde in der Kunst vielfach gewürdigt, so in einem
römischen Mosaik, und in Delacroixs Deckengemälde „Tod des Archimedes“ das
sinnigerweise im Palais Bourbon in Paris (Assemblée Nationale, Bibliothek) angebracht
wurde.
Kunst liebt eben Legenden.
*Der erfolgreiche Einsatz des „Griechisches Feuers“ gegen die arabische Belagerung
von Byzanz 717 ist hingegen verbürgt.
Griechisches Feuer
Palais Bourbon
röm. Mosaik