Kunstlegenden
Märchen, Mythen
Die Welt ist voller Märchen, Mythen und Legenden. Wer kennt sie nicht, diese fabulae
fictae der Geschichte, Literatur und Wissenschaft, manchmal liebevoll gepflegt wie
Grimms Bremer Stadtmusikanten, manchmal wuchernd wie Unkraut, wie etwa dass
Königin Antoinette ausgerufen hätte ''Sollen sie doch Kuchen essen’’, oder dass Thomas
Edison die Glühbirne erfunden hätte, oder dass es deswegen keinen Nobelpreis in
Mathematik gäbe weil Alfred Nobel seinen Mathematikkollegen nicht mochte, oder dass
es für den Adel früher ein «ius primae noctis» gegeben hätte, oder dass Winston Churchill
gesagt hätte «Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, oder dass die
Vandalen tatsächlich wie «Vandalen» gehaust hätten, oder dass die Pariser Bastille am
14. Juli 1789 erstürmt worden wäre, oder dass James Cook Australien entdeckt hätte,
oder dass im Mittelalter Keuschheitsgürtel weit verbreitet gewesen wären, oder dass sich
die Amazonen (a-mazos) die rechte Brust zum besseren Bogenschiessen abgeschnitten
hätten,
Nicht verwunderlich dass es auch in künstlerischen Belangen Mythen und Legenden gibt,
G’schichtln sozusagen, von denen viele erstunken und erlogen sind, und die nach jedem
weiteren Zitat glaubwürdiger erscheinen bis sie sich zu Legenden verdichten die im
Internet (Wikipedia) herumgeistern und niemand mehr hinterfragt, Kunstlegenden eben.
Sind Märchen zentrale kulturelle Bezugspunkte?
Genau im diese* geht's hier. KY März 2024
*Jedes Bild ist mit einer thematisch weiterführenden Datei verlinkt.
Bremer Stadtmusikanten
Lascaux
Die historisch am ältesten Höhlenmalereien in Lascaux. Sie gaben zu vielerlei Legende
Anlass, von denen die bekannteste wohl jene von Picassos angeblichen Besuch ist. Bei der
Besichtigung der Höhle soll er ausgerufen haben: Wir haben nichts Neues gelernt...
Problem: es gibt keinerlei Hinweis für einen etwaigen Besuch Picassos in der Lascaux
Höhle, und auch in keiner anderen der bekannten vorzeitlichen Höhlen. Trotzdem findet
sich dieses Zitat in einer Unzahl von Kunstliteratur und wird sich dort noch weiter halten.
Es klingt einfach gut.
Besaßen die alten Ägypter elektrischen Strom und Glühbirnen? Das behaupten einige
proto-wissenschaftliche Autoren unter Hinweis auf Reliefs in unterirdischen Krypten des
Hathor Tempels von Dendera, 50 km nördlich von Luxor. Dass an der Glühlampenlegende
nichts dran ist, Esoterik pur, stört sie nicht so lange an ihr noch immer fleißig verdient
wird.
Auch die Legende von der Goldmaske des Agamemnon hat ein zähes Leben. Sicher ist nur
dass sie vom deutschen Archäologen Heinrich Schliemann bei Grabungen in Mykene in
der Nähe des „Löwentorsgefunden wurde und dass sie von diesem Agamemnon, dem
sagenhaften König und Oberbefehlshaber der griechischen Streitmacht vor Troja,
zugeordnet wurde. Das Problem dabei: heute wissen wir dass die Maske schon aus dem
16. Jahrhundert v. Chr. stammt, also ungefähr drei Jahrhunderte vor der Zeit, die für den
eventuellen historischen Kern der Sagen um Troja und seines Eroberers Agamemnon in
Frage kommt. Ob dies Schliemann wusste? Die Maske wird heute jedenfalls noch immer
als jene von Agamemnon bezeichnet.
Dendera Glühbirne
Agamemnon
Kapitolinische Wölfin
Lange glaubte die Fachwelt dass die Skulptur der kapitolinischen Wölfin im Senatorenpalast aus
dem 5. Jhdt. v. Chr. stammt, d.h. aus der Zeit der etruskischen Königsherrschaft über Rom. Das
mag für die Wölfin stimmen, nicht aber für die säugenden Knaben. Heute weiß man, dass
letztere der Wölfin erst in der Renaissance unterjubelt wurden, als man sich - insbesondere in
Norditalien - auf die römische Vergangenheit zurückzubesinnen begann. Eine Römische Legende
halt ohne ernste Auswirkungen.
Archimedes dachte in seiner Badewanne nicht nur über seinen Gewichtsverlust nach, sondern
erfand auch allerlei Kriegsspielzeug. Als römische Galeeren seine Heimatstadt Syrakus angriffen,
baute er eine Vorrichtung mit Spiegeln, mit denen die feindlichen Schiffe angeblich in Brand
gesetzt wurden ("Todesstrahl des Archimedes"). Ein dankbares Bildmotiv für spätere Künstler.
Problem: Forscher bauten die antike Wunderwaffe nach und fanden dass dies mit den
damaligen Mitteln physikalisch gar nicht möglich war. Eine Legende eben.
Zur Herkunft der Quadriga auf dem Markusdom kursierte lange die Legende, Kaiser Friedrich I.
(HRR, “Barbarossa”) habe in einem Konflikt mit dem Papst Venedig belagern lassen und
geschworen, er werde von seinem Plan nicht ablassen, bis er den Markusdom in einen
Pferdestall verwandelt hätte. Nach dem Scheitern der Belagerung seien entweder von ihm selbst
oder von den siegreichen Venezianern die Pferde auf dem Dom aufgestellt worden, um seinen
Eid wenigstens symbolisch zu erfüllen. Sicher ist heute nur, dass die Pferde von Kaiser Konstantin
I. (dem Grossen) im Hyppodrom der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel aufgestellt
wurden und von dort, angefacht durch die Machtgelüste und Sammlerleidenschaft der
Mächtigen - verschleppt wurden. Heute stehen sie im Museo San Marco. Jene auf der Fassade
des Markusdoms sind Kopien aus Polyester, das merken die Touristen eh nicht.
Archimedes
Quadriga Markusdom
... In Arbeit