Eigentlich ist es kein Teppich, sondern ein mit Stickereien verzierter Leinenstreifen mit den beachtlichen
Dimensionen von ca 70 m Länge und 57 cm Höhe. Es handelt sich auch um keine maschinelle Billigware aus China,
sondern um eine echte Handarbeit aus dem französischen Mittelalter. Dass dieses monumentale Werk fast 1000 Jahre
unbeschadet überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Für Kunst- und Geschichtswissenschafter ist es eine Fundgrube,
denn es zeigt in nicht weniger als 58 Einzelszenen die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den
Eroberer (Guillaume le Conquérant), und dies mithilfe von mehr als 500 Figuren, 300 Pferden und 40 Schiffen, wobei
jede Szene lateinische Titel trägt und Aufschluss über wichtige Aspekte des mittelalterlichen Lebens gibt, wobei auch
Genitaldarstellungen nicht zu kurz kommen. Ob es 93 oder 94 Penisse sind ist bis heute umstritten. In Reading gibt es
eine fast exakte Kopie aus dem späten 19. Jahrhundert. Fast deshalb, weil die Penisse wegzensuriert wurden...
Der Teppich von Bayeux
Gruß eines Kometen aus dem Mittelalter
Der hier gewählte Ausschnitt zeigt Szene 32. Ihr Titel „ISTI MIRANT STELLA» verrät
worum es geht: um die Bewunderung eines «Sterns». Es war zwar kein Stern, wie wir
heute wissen, sondern ein Komet, der im März 1066 den sonnennächsten Punkt
(Perihel) erreichte und den Sturz des Königs Harold von England angekündigt haben
soll. Er wird heute nach dem Astronomen, Mathematiker und Physiker Edmond
Halley benannt und erscheint regelmäßig wieder.
Die um 1070 gestickte Illlustration im Teppich von Bayeux ist die erste bekannte
bildliche Darstellung dieses Kometen. Dass sein Schweif und Kopf an eine Krake
(Kalmar) erinnern ist nicht nur dem damaligen Mangel an Sehhilfen geschuldet
(Fernrohre gab es erst 600 Jahre danach), sondern könnte auch damit zu tun haben
dass diese Kreatur zur nordischen Mythologie gehörte und im abergläubischen
Mittelalter als böses Omen und Unglücksbringer galt. Kein Wunder also wenn dem
Kometen diese Form angedichtet wurde um seine Erscheinung zur Zeit des Feldzugs
von Wilhelm dem Eroberer mit dem Sturz des Königs Harold von England in
Verbindung zu bringen. So beklagte sich etwa der „fliegende MönchEilmer of
Malmesbury im Anglo-Saxon Chronicle dieser Zeit über den Kometen bitterlich wie
folgt: “You've come, have you? You've come, you source of tears to many mothers,
you evil. I hate you! It is long since I saw you; but as I see you now you are much
more terrible, for I see you brandishing the downfall of my country. I hate you!"
Halleyscher Komet als Unheilsverkünder
Ausschnitt aus dem Teppich von Bayeux
Szene 32
Wie der Komet wirklich aussah zeigen Aufnahmen der
Forschungssonde "Giotto” aus dem Jahre 1986. Er wurde
auch in der Frührernaissance von Giotto di Bodone in
seienem Fresko „Anbetung der Königedargestellt,
ebenfalls mit Schweif nach links, diesmal allerdings als
“Weihnachtsstern”.
Auch später wurde die Erscheinung des Komets für viele
tragische Ereignisse verantwortlich gemacht, wie etwa
Kaisertod, verlorene Schlachten und sogar für die
nukleare Katastrophe von Tschernobyl.
Und die lustigen Figuren in den Himmelsobjekten des
Freskos Crucifixon of Christ 1327 im Kloster Visoki
Dečani (Kosovo) werden die Menschen von ihrem
Glauben sicher nicht abbringen.
Zum Glück fliegt der Komet nur rund alle 76 Jahre an der
Erde vorbei. Sein nächste Periheldurchgang findet am 28
Juli 2061 statt. Dies zur Information an die nächste
Generation.
KY März 2024
Crucifixion of Christ 1327
Aufnahmen der Forschungssonde "Giotto" im Jahr 1986
Giotto di Bondone Anbetung 1304-06