Germaine Richier - Le Christ d’Assy
Tätige Reue nach Kritik des Vatikans
Es begann 1935 mit dem Bau der neuen Kirche Église Notre-
Dame-de-Toute-Grâce auf dem Plateau d’Assy. Die Idee dazu
kam vom kunstsinnigen Kaplan des nahe gelegenen
Sanatoriums von Sancellemoz, Jean Devémy, in dem Marie Curie
im Jahr davor (1934) an den Folgen ihrer berufsbedingten
Bestrahlung mit radioaktiven Elementen (Radium) verstorben
war.
Die vorrangig mit lokalen Materialien wie Schiefer und Holz
erbaute Kirche war bei Beginn des zweiten Weltkriegs fertig, es
fehlte nur noch die Innenausstattung. Diese wurde nach dem
Krieg in Angriff genommen. Dazu wurden Künstler wie Braque,
Bonnard, Chagall, Lipchitz, Matisse, Rouault und Richier
eingeladen je ein Kunstwerk beizusteuern. Germaine Richier
übernahm 1949 den Auftrag und schuf ein Bronze Kruzifix. Ihr
Christus am Kreuz ist ohne Gesicht, ihm fehlen die Hände und
die Füße. Sein Leib, wurzelwerkartig, ist reduziert auf ein Skelett
aus dürren, stangenähnlichen Formen, deren Oberflächen rau
und zerklüftet wirken. Er wurde über dem Altar angebracht.
Bereits vor der feierlichen Inauguration im August 1950 war
das Werk öffentlich kritisiert worden. Gemäß dem weltweit
verbreiteten Edikt des Vatikans vom Juli 1950, Dell'Arte sacra
deformatrice, wurde Richiers Werk als „Verunglimpfung
Gottes“ eingeordnet, und das Kruzifix kurzerhand von seinem
Platz entfernt. Erst 1971, zwanzig Jahre später, wurde es
wieder auf dem Hochaltar angebracht und als historisches
Denkmal klassifiziert.
Es war bei Gott nicht das erste Mal dass die Kirche unliebsame
Kunstwerke aus ihren Gotteshäusern entfernte, aber dieser
Akt der Zensur entbehrt insofern nicht einer gewissen Ironie,
als der heutige Papst Franziskus eine Bronze in seinen Händen
hält, die jener von Germaine Richier nicht ganz unähnlich ist.
Tätige Reue?
Ein Exemplar der 12 Abgüsse des Le Christ d'Assy I gelangte in
den Kunsthandel und erzielte bei einer Versteigerung 31 000 €
(Okt. 2013 Christie’s). Mit Potential nach oben falls das Original
auf Grund wandelnden Kunstgeschmacks des Vatikans wieder
aus der Kirche entfernt werden sollte;-)
Papst Franziskus