Rom
2006
Michelangelos (römische) Pietà im Petersdom hat mit den Touristen schon viel durchgemacht. Wir verschonten
sie daher mit unserem Besuch. Seit 1972 konnte man sich ihr sowieso nicht mehr nähern. Ein Geiteskranker mit
Hammer hatte ihr schwere Schäden zugefügt, und seitdem ist sie durch Panzerglas geschützt. Es gibt schon
schöne Trotteln auf der Welt.
So wie andere Skulpturen Michelangelos (wie etwa David) entsprechen nicht alle Proportionen der Realität.
Heute weiss man, dass diese Abweichungen der Ästhetik geschuldet sind, und damit gewollt waren.
Das gilt auch für den überzähligen fünften Schneidezahn des Leichnams in den Händen der Madonna.
Nicht nur für Zahnärzte ein Rätsel.
Künstler nehmen Änderungen der Realtität dann in in Kauf, wenn sie der Ästhetik im Auge des Betrachters
geschuldet sind. Schönheit und Wahrheit sind in der Kunst subjektiv. In der Wissenschaft sind sie es nicht.
Dennoch war und ist für viele Forscher Schönheit ein wichtiges Motiv bei ihrer Suche nach Wahrheit. So pries
Kepler in seinem "Mysterium Cosmographicum" und den "Harmonices Mundi" seine Gesetze als Ausdruck der
Schönheit von Gottes Schöpfung. Ludwig Boltzmann leitete 1893 sein Lehrbuch über Maxwells Theorie des
Elektromagnetismus mit Fausts Frage ein: "War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?" Und Heisenberg
antwortete auf Einsteins Frage, warum er glaube, die Quantenmechanik sei richtig: "Wenn man durch die Natur
auf mathematische Formen von großer Einfachheit und Schönheit geführt wird…, so kann man eben nicht umhin
zu glauben, dass sie ,wahr‘ sind." Auch Paul Dirac, Mitbegründer der Quantenphysik, schrieb: "Fundamental
physical laws are described in terms of a mathematical theory of great beauty and power.”
Das Hochzeitsfoto zeigt jedenfalls dass Braut und Bräutigam auch ohne überzählige Schneidezähne attraktiv
sind.