Der Sarkophag des Herkules
Ein Grabraub mit Folgen
Im antiken Römischen Reich bestatteten Familien die es sich leisten konnten ihre
Toten in Steinsärgen aus Marmor. Diese Sarkophage ("Fleischesser") der
Oberklasse waren in der Regel kunstvoll verziert - nicht nur mit Abbildungen des
Verstorbenen, sondern auch mit Bildern ihrer Hoffnungen, Träume und Ängste.
Zwischen dem 2. und 4. Jhdt. wurden hunderttausende davon angefertigt.
Manche wurden über Generationen vererbt und enthielten mehrere Verstorbene.
Der Marmor kam im wesentlichen aus Regionen des heutigen Italiens, der Türkei
und Griechenlands. Aus künstlerischer Sicht ist interessant dass die Flanken der
Sarkophage - je nach Auftraggeber und Besitzer - mit Figuren verschiedenster
Themenkreise geschmückt wurden. Dabei wurde sparsam vorgegangen. Je nach
Blickwinkel wurden nur eine oder alle 4 Flanken mit - ursprünglich färbigen -
Skulpturen verziert. Dies erforderte meist monatelange Arbeit von mehreren
Steinhauern. Dass nur wenige Marmorsarkophage den Zahn der Zeit überlebten
war u.a. dem Umstand geschuldet, dass bis ins 19. Jahrhundert so mancher im
Ofen landete, um mit dem so gewonnenen Kalk Häuserwände zu tünchen.
Photo BY 8/2017. UniGE
Der vorliegende "Sarkophag des Herkules" (Herakles) überlebte. Die Herkunft dieses
3.000 Kilo schweren und reich verzierten Prachtstücks war zunächst unbekannt.
Offenbar waren nur die Reliefverzierungen an allen Flanken mit kunstvollen
Darstellungen des Themas: "Herkules und seine 12 Aufgaben", darunter Szenen wie
die Tötung des Nemeischen Löwen, Gefangennahme der Kerinitischen Hirschkuh oder
Ankettung des 3-köpfigen Kerberos und Heraufbringung aus der Hölle.
Wie wir jetzt wissen, sollte sich zu den am Sarkophag gezeigten 12 Aufgaben noch
eine 13te gesellen: die Herausgabe des Sarges aus dem Genfer Zollfreilager, einem
schwarzen Loch in Sachen illegal erworbener Kunstwerke. Man erinnere sich nur an
den “Schatz der Etrusker” aus Cerveteri.
Die Geschichte liest sich wie ein Kriminalroman. Sie beginnt im Jahre 2010 mit einer
Kontrolle der Lagerbestände einer Logistikfirma (Innana Art Service SA) im
Zollfreilager Genf (Ports Francs) durch den eidgenössischen Zoll. Natürlich ausgelöst
durch einen Tipp aus der Kunstwelt. Nachdem sich herausgestellt hatte dass der
Sarkophag illegal in die Eidgenossenschaft eingeführt wurde, beschlagnahmten ihn
die Behörden. Verantwortlich für die Einfuhr waren die bekannten Genfer
Kunsthändler Ali et Hicham Aboutaam, Nachkommen eines Libanesischen
Antikenhändlers der beim tragischen Swissair-Flug 111 ums Leben kam (1998).
Die Beschlagnahmung löste einen Rattenschwanz von Reaktionen aus. Zunächst meldete sich das
schweizerische Bundesamt für Kultur (Office Fédéral de la Culture) mit dem Hinweis, der
Sarkophag stamme höchstwahrscheinlich aus einem Atelier der Region Dokimeion (heute
Iscehisar) im ehemaligen Phrygien (Kleinasien), und sei im Zeitraum 150 - 165 nach J.-C. skulptiert,
und aus der Nekropole von Perge bei Antalya (Türkei) um 2000 illegal entfernt worden.
Daraufhin eröffnete der Genfer Staatsanwalt ein Strafverfahren (instruction) gegen den Besitzer
des Sarkophags. Dies wurde von der Fedpol den türkischen Autoritäten via Interpol gemeldet, was
zur Folge hatte, dass sich die Türkei als Privatklägerschaft konstituierte und den Sarg
beanspruchte. Dies führte zu einem langjährigen Justizkampf zwischen der Türkei (Vertreter:
Me Marc-André Renold) und den Kunsthändlern welche behaupteten, die legalen Besitzer zu sein.
Um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, gab der Staatsanwalt kunsthistorische, archäologische
und mineralogische Studien in Auftrag. Es war ja nicht mit Sicherheit erwiesen, dass der
Sarkophag tatsächlich aus Dokimeion stammt, und noch weniger, dass er in Perge gestohlen
wurde. Die römische Kleinstadt belieferte damals das ganze römische Reich mit Marmorsärgen,
und dieser hätte folglich schon während der Antike aus der Türkei exportiert worden sein können.
Die kunsthistorischen Studien und archäologischen Studien liessen jedoch keinen Zweifel übrig:
der Stil des Sarkophags und seiner Figuren war identisch mit jenem in der damaligen Region
Kleinasiens, während die - an der Uni Genf durchgeführten - mineralogischen Studien zeigten,
dass der Marmor (pavonazetto, weiss, mit grauen oder roten Adern) tatsächlich aus den
Steinbrüchen von Dokimeion*) stammt. Damit war der Herstellungsort des Sarkophags bewiesen.
*) Arbeitsort (u.a.) des Altphilologen und Epigrahikers Georg Petzl, Professoe an der Uni Köln Schliffaufnahme
Fehlte noch der Nachweis des Ortes seines Diebstahls. Dazu kam den Genfer
Forschern ein kleines aber wichtiges Detail zu Hilfe. Auf der Suche nach möglichen
Indizien fanden sie auf dem Sarkophag Staubreste. Deren Analyse zeigte, dass ihre
Zusammensetzung identisch mit jener von Erdproben aus Perge war. Damit stand mit
quasi Sicherheit fest, dass der Sarkophag in dieser Gegend lagerte als er gestohlen
wurde. Einer Restitution an die Türkei stand somit nichts mehr im Wege.
Der Fall wurde vom Centre du droit de l’art Arthemis an der Uni Genf aufgearbeitet.
Der Genfer Staatsanwalt ordnete somit die Restitution an. Ein Einspruch der Händler
wurde abgewiesen, sodass der Sarkophag 2017 an die Türkei restituiert wurde.
Insgesamt dauerte die Prozedur also 6 Jahre. Heute ist er in einem Museum in
Antalya ausgestellt.
Dies zeigt mehreres. Erstens wie wichtig Details von Kunstwerken sind, auch
unsichtbare. Zweitens wie wichtig moderne wissenschaftliche Methoden sind um
Kunstwerke zu enträtseln, sie korrekt zuzuordnen und ihren Weg nachzuvollziehen.
Dies zeigte sich besonders bei der korrekten Zuordnung der “Kapitolinischen Wölfin.
Schliesslich zeigt der Fall wie wichtig internationale Verträge in Sachen Restitution
von Kunstgütern sind. Nur so konnten die Mühlen der Justiz auch schwarze Löcher
wie jenes des Genfer Port Franc erreichen.
Nicht gelöst bleibt nur ein Rätsel. Was ist das komische Ding (Gegenstand) im Relief
nebenan, das Herkules in seiner linken Hand hält ? Mystère.