Die kapitolinische Wölfin
Eine Römische Legende
Die kapitolinische Wölfin ist das Symbol des antiken Rom und der glanzvollen
Vergangenheit Italiens. Sie galt den Römern als heilig, und war eng mit der Gründung ihrer
Stadt verbunden. Heute thront ihre Bronzestatue standesgemäss auf einem Podest in der
Mitte der Sala della Lupa im Konservatorenpalast, während eine schmächtigere Kopie ganz
in der Nähe ihr Dasein an der Nordecke des Senatorenpalasts (heute Rathaus) im Freien
fristet. Weitere Kopien und Nachbildungen erfreuen Touristen in anderen italienischen
Städten.
Die Bronzestatue im Konservatorenpalast zeigt eine Wölfin, die Romulus und Remus,
Söhne des Kriegsgottes Mars und Gründer Roms, säugt. So lautet zumindest die Legende.
Es ist nicht die einzige Legende.
Lange glaubte die Fachwelt dass die Skulptur aus dem 5. Jhdt. v. Chr. stammt, d.h. aus der
Zeit der etruskischen Königsherrschaft über Rom. Das mag für die Wölfin stimmen, nicht
aber für die säugenden Knaben. Heute weiß man, dass letztere der Wölfin erst in der
Renaissance unterjubelt wurden, als man sich - insbesondere in Norditalien - auf die
römische Vergangenheit zurückzubesinnen begann.
Senatorenpalast
Nordseite
Aber damit nicht genug. Wie steht es mit der bronzenen Wölfin selbst ? Stammt sie
tatsächlich aus der Zeit der Etrusker ? Ihren kulturellen Höhepunkt erreichten diese ja in
den Jahren 600-350 aD, und gingen nach der Eroberung durch die Römer in deren Kultur
auf. Dass die Etrusker Bronze giessen konnten, zeigen ihre eindrucksvollen Skulpturen,
etwa die Chimäre von Arezzo (500 aD) oder Ombra della sera Volterra (250 aD). Es war
also naheliegend ihnen auch die bronzene Wölfin zuzuordnen. Dies war zumindest die
Sichtweise der Fachwelt bis ins 21. Jhdt.
Dann kam die Überraschung. In den Jahren 2006-2012 gelang es einem Forscher
der Università del Salento (Anna Maria Carruba) organisches Material aus Metall-
Einschlüssen während des Herstellungsprozesses des Gusses zu extrahieren, dieses
spektroskopisch zu untersuchen und mittels Radiokarbon Methode zu datieren. Das
Ergebnis war ernüchternd. Es zeigte sich, dass die Wölfin nicht etruskischen Ursprung ist,
sondern erst im 11. bis 12. Jhdt, d.h. im Mittelalter gegossen wurde, möglicherweise als
Nachbildung einer beschädigten älteren Version. Das heute ausgestellte Symbol Roms ist
also kein Original der Etrusker, sondern eine Kopie aus späteren Zeiten. Wiederum eine
Legende weniger, zerstört durch die Erkenntnis moderner wissenschaftlicher Analysen.
Analysen von Erd-Einschlüssen sorgten kürzlich für eine andere Überraschung im
Zusammenhang mit einem Kunstobjekt des antiken römischen Reichs: des im Zollfreilager
von Genf lagernden "Sarkophag des Herkules. Er stellte sich als Diebsgut aus Kleinasien
heraus, und musste 2017 an die Türkei restituiert werden (siehe nebenan).
Chimäre von Arezzo Ombra della sera
Volterra
Sarkophag des Herkules