Segantini-Die bösen Mütter
Das Thema der Mutter, die ihrem Neugeborenen die Liebe verweigert und
erst nach langem Leiden in der Wiedervereinigung mit dem Kind erlöst wird,
traf Segantini zutiefst. Er hatte seine Mutter verloren, als er 7 Jahre alt war
und wurde später von seiner Halbschwester verstoßen. Das mag ein Grund
sein, warum er als Erwachsener die Mutterschaft zu einem Ideal verklärte und
die gute Mutter zur säkularen Madonna erhöhte, die sich mit der Schöpfung
in Einklang weiß. Möglicherweise unfähig, sich mit dem eigenen Verlust und
dem Gefühl des Verstoßenseins abzufinden, malte er die Bilder, in denen
schlechte Mütter und herzlose Frauen für ihre Taten leiden müssen.
Segantinis Enkelin Gioconda Leykauf-Segantini schrieb: „Einen tiefen Eindruck
hinterließ beim Großvater die Lektüre des Gedichts ‚Nirwana‘ von Luigi Illica.
Es kreist um das Thema der verweigerten Mutterschaft, um die Bestrafung
der bösen Mütter, die langes Leid zu erdulden haben, ehe ihnen Erlösung
zuteil wird.
Vorbild für Klees Jungfrau im Baum1903
Vergleich mit Munchs Madonna
https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kb/article/download/11289/5151/
Mutter und Ambivalenz
Von liebenden Müttern wimmelt es nur so in der Kunstgeschichte. Umso faszinierender war für
mich die Begegnung mit einem Bild, das so gar nicht der Vorstellung einer ihr Kind beschützenden
Mutter entspricht.
Lange Zeit war man sich einig, dass Giovanni Segantini, der bereits als Kind Vollwaise war, mit
diesem Bild ganz im Geiste der Jahrhundertwende den Egoismus von Frauen anklagen wollte, die
ihre Mutterschaft ablehnen.
Ich habe dieses Bild nie so sehen können. Vielmehr haben mich weniger moralisierende,
gegenwärtige Deutungen interessiert, die dieses Gemälde als Spiegel eines Konflikts zwischen dem
Bild der Frau als Mutter und jenem als sinnliche Frau interpretieren. Gefesselt hat mich stets die
Ambivalenz dieses Ausnahmebildes, das zeigt, dass Frauen auch als Mütter nicht nur Mütter sind.
Jede auch noch so liebende Mutter kennt gerade in den ersten Monaten, die ganz von der
Fürsorge um das neugeborene Kind dominiert werden, das Gefühl, ausgesaugt zu werden. Der
Wunsch trotz Mutterschaft auch als arbeitende Frau und erotische Partnerin wahrgenommen zu
werden, ist heute meist selbstverständlicher Teil eines vielschichtigen Mutter- und Frauenbildes.
https://www.dioezese-
linz.at/portal/themen/miteinander/kunstkultur/kunst/mutterbilder/article/9429.html