Ferdinand Hodler Rückzug von der Schlacht von Marignano
Ein teuer erkämpftes Historienbild das der Wahrheit verpflichtet ist
Da gibt es nichts zu beschönigen: die Schweiz verlor 1515 die Schlacht von
Marignano gegen die Franzosen unter Franz I., was manche Historiker als Auslöser
für die Neutralitätspolitik des Landes erachten. Damals griffen die eidgenössischen
Fusstruppen, wegen ihrer Stosskraft gefürchtet, noch als Gewalthaufen ins
Kriegsgeschehen ein, wenn auch die Franzosen militärtechnisch weiter waren. Sie
zerfetzten mit ihren Feuerwaffen aus Hecken und Schützengräben die Eidgenossen
am 13. und 14. September 1515 sodass sie sich unter grossen Verlusten vom
Schlachtfeld des Mailänder Vorort zurückziehen mussten.
Genau das stellte Hodler 1897 in seinem Historienbild dar. Es war von der
Commission fdrale des Beaux- Arts für drei Bogennischen im Waffensaal des neu
zu eröffnenden Schweizer Nationalmuseums in Zürich in Auftrag gegeben worden,
nachdem Hodler die Ausschreibung dazu gewonnen hatte. Interessanterweise
zeigten seine ersten Entwürfe keinerlei Beschönigung der Niederlage, wie man es
für ein damaliges Historienbild erwarten konnte. Im Gegenteil, Hodler entschied
sich den Rückzug der schwer angeschlagenen Eidgenossen so darzustellen, wie er
vermutlich war, brutal, mit schwer verletzten Kriegern, zerrissener Kleidung und
schmerzverzerrten, blutenden Gesichtern.
Krieg
Wie erwartet, konnte Hodler seine dreiteilige Freskenfolge erst nach vielen
Einsprüchen im Waffensaal des Landesmuseums ausführen (heute
«Ruhmeshalle»). Seine Entwürfe waren Gegenstand heftiger Debatten die
zum zwei Jahre währenden „Freskenstreit“ (1898-1900) führten. Man warf
ihm Geschichtsfälschung und das Fehlen der Darstellung von Heroismus vor,
der diese Art von Gemälde normalerweise begleitet. Insbesondere wurden
die Bilder als «ungeeignet» erachtet, das Nationalmuseum zur Pilgerstätte
für die Schweizer Jugend zu machen, um deren Patriotismus zu fördern. Die
Landesmuseums-Kommission bat "die Ausführung dieser abstossenden,
rohen, dem Volke und der Jugend unverständlichen Malerei zu verhindern".
Dennoch sprach der Bundesrat Hodler das Vertrauen aus. Im Dezember
1899 konnte er die Arbeiten endlich aufnehmen.
Im Mittelteil der ausgeführten Form zeigt Hodler den Rückzug der Kämpfer
als geschlossene Truppe, einzig drei gelb-gold gekleidete Krieger halten
Wache. Der Zug marschiert von rechts nach links, also entgegen der
Leserichtung. Die Zone über den Köpfen ist mit wehenden Fahnen
ausgefüllt. Nur der letzte Krieger steht mit bedrohlicher Körperhaltung
abseits, seine Hellebarde abwehrbereit gestemmt. Zwischen ihm und der
Truppe öffnet sich der Blick auf das Schlachtfeld, das von grauen Leichen
übersäht ist.
Landesmuseum Zürich
Die beiden kleineren Seitenlünetten zeigen einzelne Kämpfer: Links sitzt
„Der verletzte Bannerträger Hans Baer, ein Fähnrich, dessen
Unterschenkel abgeschlagen wurden, ermattet kann er sich nur noch auf
seine Fahnenstange abstützen. In der rechten Lünette hat ein kniender
Kämpfer sein Schwert zum Schlag ausgeholt, doch auch er ist von Leichen
in grauen Rüstungen umgeben. Unerschütterlich blickt „Dietegen, den
Rückzug deckend“ dem (unsichtbaren) Feind und dem Schicksal entgegen.
Das ganze Komposition gewinnt noch an Symbolkraft wenn man bedenkt
dass sich Hodler im Mittelteil des Freskos als Anführer der sich
zurückziehenden Truppe, und seine Unterstützer beim Freskenstreit, den
Maler Albert Trachsel als Hellebardier, und den Bildhauer Rodo de
Niederhäusern als den Rückzug deckenden letzten Krieger abgebildet hat.
Eine Metapher von Hodlers teuer erkämpften neuen Kunstauffassung
eines Historienbilds? Möglich. Hodler war ähnliche Kämpfe von früher
gewohnt. Er ging ihnen nie aus dem Weg. Sie erhöhten seinen
Bekanntheitsgrad, was er vermutlich in Kauf nahm.