Vincent Van Gogh - Porträt des Dr. Gachet
Kunstkrimi über Authentizität, Sammlerleidenschaft, Geld,
Habgier und mythenumwobener Grabbeilage
Es waren seine letzten Gemälde. Nach der Rückkehr aus St Rémy
im Mai 1890 portraitierte Van Gogh seinen behandelnden Arzt,
Dr. Paul Gachet in Auvers-sur-Oise. Einige Wochen später erschoss
er sich. Trotz Behandlung
Zwei in Farbgebung und Stil voneinander abweichende Fassungen
sind erhalten. In der ersten (als “signiertgeltenden”) Fassung
(Impastotechnik) ragt der Zweig des Fingerhuts (Digitalis) als
damaliges Attribut medizinischer Ausbildung aus einer Vase,
während er in der zweiten (unsignierten) Version in der Hand des
Arztes lose auf dem Tisch liegt. Die abgebildeten cher mit den
Schriftzügen Germinie Lacerteux und Manette Salomon am
Buchrücken in der ersten Fassung fehlen in der zweiten.
Sind es diese Schriftzüge die als Van Goghs Signaturangesehen
werden? Seine übliche Signatur Vincentist jedenfalls
unsichtbar.
III
Germinie Lacerteux und Manette Salomon
Van Gogh-Le Café de nuit 1988 Yale
Dr Gachet (Jahr unbekannt)
Beide Fassungen haben eine bewegte Geschichte. Nach dem Tod des Malers
1890 kam die erste Fassung in den Besitz seines Bruders Theo van Gogh,
dessen Witwe es später für lächerliche 300 Francs an die dänische
Sammlerin Alice Faber verscherbelte.
Danach wechselte das Bild ein dutzend Mal seine Besitzer. Im Jahre 1911
gelangte es durch eine finanzielle Zuwendung in das Frankfurter Städel
Museum. Dort war es lange Jahre das Aushängeschild, bis es 1937 als
sogenannte entartete Kunst“ beschlagnahmt, und von Hermann Göring
1938 zusammen mit anderen Werken an den Amsterdamer Bankier Franz
Koenig verkauft wurde. Vom Verkaufspreis der halben Million Reichsmark
erhielt das Museum ganze 150,000.-
Noch vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs kam das Bild unter nicht ganz
geklärten Umständen in den Besitz des D-US Sammlers Siegfried Kramarsky,
dessen Erben es 1990 im NY Auktionshaus Christie’s versteigern ließen.
Käufer war der japanische Unternehmer Saitō Ryōei, der innerhalb weniger
Minuten 82,5 Mio $ für das Gemälde hinblätterte und gesagt haben soll:
Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.
Saitō Ryōei starb 6 Jahre später und das Bild verschwand tatsächlich. Lange
glaubte man dass es mit dem Verblichenen in Asche zerfallen sei. Eine
makabre Kunstlegende war geboren.
Alice Faber mit ungerahmter
Version I. Copenhagen 1897
I
Erst Jahre später stellte sich heraus, daß das Bild 1999 im Rahmen der Insolvenz von
Saitō Ryōeis Unternehmen durch einen private sale an den skandalumwitterten
österreichischen Investmentbanker Wolfgang Flöttl gelangte. Dies war auch die
vorläufig letzte nachweisbare Station des Bildes.
Auch Flöttl konnte sich nicht lange am Bild des Dr Gachet erfreuen, denn er musste
es seinerseits in Folge des BAWAG Skandals*) 2006 wieder verkaufen. Diesmal über
Sothebys. An wen, ist wiederum ein gut behütetes Geheimnis. Dieses
Versteckspielchen könnte damit zu tun haben, dass die Erben nach Koenigs “NS-
Raubkunstwitterten und Anspruch auf das Bild erhoben. Mit welchen Belegen, ist
unbekannt. Das Risiko, bei Bekanntgabe seines Bildbesitzes mit
Restitutionsforderungen konfrontiert zu werden, möchte kein Kunstfreund eingehen.
Seither ist das Bild verschwunden. Derzeit versucht das Staedel Museum mittels
Podcast FINDING VAN GOGH das Bild aufzustöbern, und stellt dabei
publikumswirksam den von den Nazis zurückgelassenen Rahmen des Bildes leer aus.
Gute PR-Aktion. Wenn man dem Sammlungsleiter Alexander Eiling Glauben schenkt,
führt die derzeit heißeste Spur über Parma, der Stadt des berühmten Schinkens und
der noch berühmteren Barilla Nudeln, in die Schweiz. Vielleicht sogar nach Genf.
Pasta-König Guido Barilla ist jedenfalls ein eifriger Kunstsammler, und Teile der Barilla
Familie leben in Genf.
Kunstschnüffler macht Euch auf die Socken! Vielleicht winkt ein Finderlohn rs
Nicht-verpfeifen. Das Kunstwerk wird immerhin auf $ 250 Mio’??? geschätzt.
*) Zu dieser Zeit lagerten etliche meiner Sparbücher in dieser Bank. Eines davon führte unfreiwillig zu einem
anderen Skandalbeim Nachlass meiner Mutte
Mit Alexander Eiling, Sammlungsleiter,
Kunst der Moderne am Städel
Museum, und Kurator der Ausstellung.
Barilla Teigwaren
Wolfgang Flöttl
Saitō Ryōeis
Die Geschichte der zweiten Fassung hört sich vergleichsweise banal an. Nach dem Tod
des portraitierten Dr Gachet gelangte das Gemälde über seine Erben als Geschenk in
den französischen Staatsbesitz (1949), und gehört heute zur Sammlung des Musée
d’Orsay.
Es bestehen jedoch berechtigte Zweifel an der Autorenschaft dieser Fassung. Der liebe
Nervenarzt mit den vorwurfsvollen blauen Augen war nämlich selbst Hobbymaler,
sodass das Gemälde auch von ihm stammen könnte. Befeuert wird diese Unsicherheit
durch die Tatsache, daß van Gogh diese zweite Version, die unsigniert ist und ein
hastigeres, weniger gut verarbeitetes Werk zu sein scheint, in keinem seiner zahlreichen
Briefe an seinen Bruder erwähnt. Auch umfangreiche wissenschaftliche
Untersuchungen des Musée d’Orsay konnten die Kritiker bisher nicht verstummen
lassen. Was darüber hinaus oft verschwiegen wird ist, dass beide Versionen noch nie
nebeneinander hingen um im Detail verglichen werden zu können.
Trotzdem schaffte es die zweite Fassung auf eine Briefmarke einer ehemaligen
französischen Kolonie in Afrika. Die erste Fassung fand ihre Würdigung auf T-shirts und
einem Karikatur-Blog von Pascal Kirchmair.
Bleibt der Eindruck eines Kunstwerks, dessen erste Version von der Leidenschaft unter
Sammlern, Habgier und Kommerzialisierung der Kunst handelt, während die zweite
Version Zweifel bezüglich ihrer Echtheit schürt.
Eine kunsthistorisch seltene Kombination von Ungemach. K.Y. April 2020
II
Karikatur von
Pascal Kirchmair