Amedeo Modigliani - Nu couché
"Couvrez ce sein que je ne saurais voir"
Modiglianis Akt entstand in Paris zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Er
ist einer von Dutzenden, die ihm vom Kunsthändler Leopold
Zborowski in Auftrag gegeben wurden (siehe Nu Couché au coussin
Bleu), und einer der besten. In seiner Verherrlichung des
weiblichen Körpers folgt Modigliani hier alten Traditionen, wie
etwa Tizians Venus von Urbino (1538) die dem Betrachter direkt in
die Augen schaut und ihm ihren hingestreckten Körper zum Anblick
überlässt. Bei Modigliani allerdings mit mehr einladender Gestik
und einigen Schamhaaren als Draufgabe.
Die Aktgemälde Modiglianis wurden 1917 in der Galerie Berthe
Weill erstmals ausgestellt. Die standfeste Besitzerin hatte als erste
Frau 1901 in Paris eine Galerie aufgemacht, und dies im männlich
dominierten Schlachtfeld Kunstmarkt. Weill leistete dabei Pionier-
arbeit. Sie widmete sich besonders jungen Künstlern, wie etwa
dem 19-jährigen Picasso dem sie als Erste drei Pastelle abkaufte
und ihn ermutigte in Paris zu bleiben. Zu ihren Entdeckungen gehö-
ren auch spätere Stars wie Kees van Dongen und Henri Matisse.
Nu Couché au coussin Bleu
Tizian Venus von Urbino
Schon am ersten Tag der Modigliani Ausstellung bildete sich vor der
Galerie Weill eine Menschentraube, denn alle wollen die freigigen
Bilder sehen. Dies war nicht unerwartet, denn Zborowski hatte am
Tag vorher zwei der Akte in die Vitrine stellen lassen. In der Folge
kam es zu einer Intervention der Polizei welche die Galeristin aufge-
forderte, die Gemälde zu entfernen. Mais qu’ont-ils donc ces nus?
fragte sie den Polizeikommissar. Dieser antwortete lautstark und
drohend: Ces nus … ils ont des poils! Erinnert frappant an Molières
Le Tartuffe (1664) und dessen berühmten Ausspruch "Couvrez ce
sein que je ne saurais voir" (Acte IV, Scène V). Um einer
Beschlagnahmung zu entgehen, entfernte Berthe Weill die Bilder
aus der Vitrine und sagte die Ausstellung ab. Die Gemälde blieben
unverkauft. Es war Modiglianis letzte Ausstellung, denn er starb 3
Jahre später (1920).
Und die Nu couché? Sie kam fast hundert Jahre später wieder in die
Medien. 2015 wurde sie bei Christie's in New York zur Versteigerung
angeboten und erzielte nach kurzem Bietergefecht 170 Mio.$ Dies
ist die derzeit drittteuerste Verkaufssumme, die bei einer Auktion
erzielt wurde, und mag als späte Genugtuung für Modigliani gelten.
Neuer Besitzer ist der chinesische Geschäftsmann und Milliardär
Liu Yiqian, ein Kunstsammler aus bescheidensten Verhältnissen
der davon träumt in China eine Art Guggenheim Museum
aufzuziehen. Tatsächlich existieren in Shanghai bereits zwei
Niederlassungen seines Long Museums. Modiglianis Nu Couché
sei sein bekanntestes Gemälde, sagte der stolze Besitzer, der sich
sich gerne mit ihr ablichten lässt. Er ersteigerte die Nu couc
übrigens mit seiner AMEX Karte.
Interessant war wiederum die Reaktion der Öffentlichkeit auf die
Annonce des Rekordkaufs. Während in den meisten Ländern
Europas das Gemälde in den Medien abgebildet werden konnte,
war dies in den prüden USA nicht möglich. Die Fernsehkette ABC
etwa zeigte das Bild nicht voll, sondern teilweise verhüllt
(floutage, bandeau noir), wie es die moderne digitale Technik so
schön erlaubt.
Jenseits des Atlantiks gilt anscheinend noch immer Tartuffes
Ausspruch "Couvrez ce sein que je ne saurais voir".