Kunst als Gehilfin der Politik
Geschichtsklitterung vom Feinsten
Wien/Graz 1955
1955
Wien/Graz 1955
Während ich bei einem Schulausflug in der Steiermark im Regen stand, malte Sergius Pauser*) in Wien
den Entwurf für das österreichischen Staatsvertragsgemälde, und Erich Köhler zeichnete im deutschen
“Simplizissimus” seine ikonische Karikatur der österr. Delegation in Moskau. Beide Werke waren für
mich erleuchtend, denn sie offenbarten das Kräfteverhältnis zwischen Kunst und Politik.
Köhler nahm in seiner Zeichnung die angeblich hinterfotzige Art der damaligen österr. Politiker aufs
Korn. Wie bei Karikaturen üblich, wurde dabei schamlos übertrieben (“...und jetzt, Julius, noch
d’Reblaus, dann san’s wach”). Wichtig war nur, dass die Personen deutlich erkennbar waren. Dies war
bei Köhlers Zeichnung der Fall, und so wurde sie im Ausland zu einem sofortigen Schenkelklopfer. Nicht
sicher ob dies auch in Österreich möglich gewesen wäre.
Pausers Entwurf war künstlerisch gelungen, wurde aber vom damaligen Bundeskanzler Julius Raab
abgelehnt. Als fadenscheinigen Grund gab dieser an, die anwesenden Personen wären nicht
erkenntlich. So bekam ein anderer Maler (Robert Fuchs) den Auftrag den Moment der Unterzeichnung
zu verewigen. Dass weder Fuchs noch viele von ihm darzustellende Personen gar nicht dabei waren,
spielte keine Rolle. Das im Stil einer Fotografie gehaltenes Historiengemälde von Fuchs ist somit eine
glatte Geschichtsfälschung. Vom künstlerischen Standpunkt aus ist sein Gemälde sowieso nicht
vergleichbar mit Pausers innovativem Entwurf, aber jedem sein eigenes Urteil**).
Der ganze Vorfall offenbart nur eines: auch in modernen Zeiten kann Kunst als Gehilfin der Politik zur
Geschichtsklitterung zweckentfremdet werden.
*) Sergius Pauser (1896-1970) war Lehrer von Karl Korab (1937) von dem einige Werke bei uns in Bernex hängen
**) Das Schicksal der verschiedenen Bilder kann durch anklicken der grün umrandeten Zonen nachverfolgt werden.
Köhler