Der Inhalt von Chagalls Radierungen erschliesst sich erst bei
aufmerksamer Lektüre von Gogols Roman. In ihm reist der
Antiheld Tschitschikow durch das zaristische Russland, um
Großgrundbesitzern ihre „toten Seelen“, d.h. die Namen kürzlich
verstorbener Leibeigener, abzukaufen, und um sie später teuer
zu verpfänden. Dazu muss man wissen dass im damaligen
Russland die Besitzer von Leibeigenen de facto auch nach deren
Tod an den Staat Kopfsteuern entrichten mussten, denn dieser
liess sich viel Zeit um sie aus den offiziellen Steuerregistern zu
streichen. Damit wurde es möglich, verstorbene Leibeigene
rechtlich beglaubigt zu kaufen und wieder zu verkaufen, um
damit in betrügerischer Absicht Kredite zu ergaunern.
Dass so etwas in Russland überhaupt möglich war, ist der
Angelpunkt von Gogols beißender Satire. Unter den
bestimmenden Bevölkerungsgruppen hatten es ihm die
Großgrundbesitzer und das zaristische Beamtentum besonders
angetan. Letzteres wurde offensichtlich zum Thema der
vorliegenden Radierung Chagalls. Sie zeigt als Hauptfiguren
vermutlich Tschitschikow in Verhandlung mit einem wichtigen
Beamten, vermutlich dem Polizeimeister oder dem
Gesundheitsamtsvorsteher, während im Hintergrund die Toten
Seelen erscheinen. Oder sind es “die abgemagerten Beamten”?
Dann wäre es Galgenhumor.
Chagall-Beamte