Jan Vermeer Girl-with-a-Pearl-Earring
Mona Lisa des Nordens; ihr Reiz liegt im Detail
Sie ist eine Ikone. Ihr Blick, direkt auf den Betrachter gerichtet, und
ihre leicht geöffneten Lippen fesseln genauso wie die Perle am Ohr
und der blaue Turban. Alles über das Gemälde des Meisters aus Delft
scheint schon gesagt worden zu sein. Und dennoch: einige Rätsel
bleiben, etwa die Identität des Mädchens, das manche die “Mona Lisa
des Nordens” nennen. War es Vermeers Tochter Maria, damals 12 or
13-jährig? War es seine Angestellte (Magd Griet) die für ihn Modell
saß, so wie im Roman und seiner Verfilmung 2003 vermutet wurde?
Manche sehen sogar Ähnlichkeiten mit dem Portrait der 22-
jährigen Beatrice Cenci (1599, Guido Reni zugeschrieben), das nach
ihrer grausamen Hinrichtung in Rom in ganz Europa verbreitet war
und Vermeer bekannt gewesen sein muss. Oder war es ganz einfach
ein Tronie, dessen exotisches Kleid mit dem orientalischen Turban das
damalige (1665) Interesse der Niederlande an der türkischen Kultur
widerspiegelte (Türkenkriege)?
Wie auch immer, Girl with a Pearl Earring war lange verschollen und
tauchte erst 1881 wieder in den Niederlanden auf, 300 Jahre nachdem
es das Studio Vermeers verlassen hatte, und für den Pappenstiel von 2
Gulden gekauft wurde.
Beatrice Cenci
Heute ist das Gemälde der Star des Mauritshuis in Den Haag und eines
der am besten erforschten Gemälde. Davon profitieren nicht nur
Museengänger, sondern auch solche die das Bild nicht vor Ort sehen
können. Es stehen nämlich Bilder von unerhörter Qualität und
höchster Auslösung zur Verfügung, die jeder Interessierte via Internet
studieren kann. In manchen Grossaufnahmen des Farbauftrags sieht
man jeden Riss der Alterung, so als ob man das Bild unter dem eigenen
Mikroskop hätte.
Man betrachte nur die Augen, den Mund, den blauen Turban und die
Perle. Manche dieser Großaufnahmen können als als störend
empfunden werden, etwa jene von den Lippen und Umgebung, weil
dadurch der Blick auf das Ganze verloren geht was wiederum zeigt
dass man Gemälde aus einer Mindestentfernung betrachten muss, um
ihre volle Wirkung zu erfassen. Abbildungen auf dem Bildschirm
ersetzen also keineswegs einen Museumsbesuch, vor allem wenn es
um die unverfälschten Widergabe von Farben geht.
Nahaufnahmen sind aber wichtig für wissenschaftliche
Untersuchungen, etwa um die Natur des herrlichen Blaus zu erfassen
(es besteht aus dem teuren Lapislazuli so wie jenes in Vermeers
Milchmädchen), oder jene des dunklen Untergrunds (er enthält
Beinschwarz von Kühen), oder jene der weissen Stellen durch die
Vermeer multiple Lichtreflexe aufs Bild zauberte, etwa auf der Perle,
den Augen, und der Unterlippe. Sie bestehen aus Bleiweiss.
Manche Details kamen erst während der Restauration zu Tage,
etwa der Reflex im linken Mundwinkel. Die Perle ist übrigens
besonders gross und wahrscheinlich der Phantasie des Künstlers
entsprungen. Er scheint Perlen geliebt zu haben, wie immerhin
acht seiner Mädchenportraits zeigen. Perlen waren im 17 Jhdt
ein wichtiges Statussymbol.
Und schliesslich die Signatur. Vermeer hat ihnen besondere
Sorgfalt gewidmet, sie in vielen Variationen abgewandelt und auf
die verschiedensten Stellen seiner Gemälde platziert. Hier wurde
sie erst kürzlich entdeckt, und zwar links oben als hellere Schrift
über dunklem Untergrund. Dieser war übrigens ursprünglich nicht
ganz schwarz sondern von einer dünnen Schicht grüner Farbe
bedeckt die über die Jahre verblasste.
Kurzum: das Mädchen mit dem Perlohrring ist eine ideale
Gelegenheit, um den derzeitigen Stand der Forschung an
Gemälden alter Meister zu erkunden.
Signaturen-KY